Unermüdlich laufen die Nähmaschinen, ein ständiges Rattern ist im Hintergrund zu hören – nur wenige Szenen kommen ohne dieses eindringliche Geräusch aus: Im ersten Teil seiner Trilogie „Youth“, der beim Filmfestival von Cannes 2023 im Wettbewerb Premiere feierte, wirft der chinesische Filmemacher Wang Bing einen Blick auf die Jugend seines Herkunftslandes.
Radikal, ungefiltert und unmittelbar sind die Aufnahmen, die ausgebeutete, junge Arbeiter einer Schneiderei im Norden Chinas zeigen. Gleichzeitig dreht sich „Youth (Spring)“ um die Bedeutung des Jungseins – eine Thematik, die Wang Bing in den beiden Folgeteilen „Youth (Hard Times)“ und „Youth (Homecoming)“ weiter aufgreift.
Unsere Kritik zu Wang Bings „Youth (Spring)“, der beim diesjährigen LuxFilmFest präsentiert wurde, finden Sie hier:
Lesen Sie auch:Schonungs- und schnörkelloser Blick auf die ausgebeutete chinesische ArbeiterjugendWährend der zweite Teil der Trilogie beim Filmfestival in Locarno im Wettbewerb lief, dort mit dem FIPRESCI-Preis, dem Preis der Jugendjury und mit einer „Special Mention“ von Payal Kapadia („All We Imagine as Light“, Grand Prix Cannes 2024) ausgezeichnet wurde, konkurriert nun der dritte Teil bei der 81. Mostra di Venezia um den Goldenen Löwen.
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Weltpremiere feiert „Youth (Homecoming)“, der wie alle Filme der „Youth“-Trilogie von der Luxemburger Gesellschaft Les Films Fauves koproduziert wurde, diese Woche am Lido.
Diese Themen gehen jeden etwas an
„Es ist eines der wenigen Werke, das bei drei der weltweit renommiertesten Filmfestivals im Wettbewerb präsentiert wird. Das ist mehr als außergewöhnlich“, betont Gilles Chanial, Mitgründer und Produzent von Les Films Fauves, die das erste Mal mit einer Koproduktion im Wettbewerb in Venedig vertreten sind. Zudem seien diese Nominierungen nicht nur für seine Filmgesellschaft und Luxemburg von hoher Bedeutung, sondern es ehre insbesondere das Werk des zwischen Frankreich und China lebenden Dokumentarfilmers Wang Bing.
„Das ist eine Anerkennung seiner Arbeit, seines Schaffens. Wang Bing wirft in seinen Filmen, einen horizontalen Blick, einen naturalistischen Blick in das Innere von China und geht aktuellen Fragen, etwa in puncto Arbeitsmigration, nach. Das sind Fragen und Themen, die nicht nur die chinesische Gesellschaft betreffen, sondern auch uns Europäer.“
Armut, Ausbeutung, Krieg, Tod, Krankheit, (kollektive) Erinnerung und Jungsein: Wang Bing, der 2002 mit seiner neunstündigen Dokumentation „West of the Tracks“ erstmals in die Öffentlichkeit ging, greift in seinen Werken universelle Problematiken auf. Und genau darin sieht auch Anastasia Chaguidouline, Kuratorin der Ausstellung „Wang Bing: Memories“, die im Rahmen des diesjährigen LuxFilmFests im Cercle Cité gezeigt wurde, die Relevanz des Gesamtwerks des chinesischen Filmemachers.
„Zwar setzt Wang Bing diese allgemeingültigen Themen ganz spezifisch in den chinesischen Kontext. Doch ihm gelingt es, trotz der geografischen Distanz zur westlichen Welt, eine gewisse Intimität zu dieser herzustellen“, präzisiert die Wang-Bing-Expertin.
Intimität trotz geografischer Distanz
Seine Werke, die man größtenteils der Gattung des Dokumentarfilms zuordnen kann, kommen mit wenigen Szenenwechseln aus. Wang Bings Werke sind geprägt von einem fast schon übersteigerten Minimalismus: Er präsentiert den Zuschauenden Bilder, ohne diese zu kommentieren.
„Wang Bing nimmt besonders viel Distanz zu seinem gefilmten Subjekt ein. Er beobachtet lediglich, man erhält beinahe den Anschein, er würde sich nicht engagieren. Es gibt auch keine multiplen Perspektiven. Aber gerade, weil er sich hinter dieser Distanz versteckt, passiert etwas ganz Außergewöhnliches: Es entsteht eine unglaubliche Nähe zwischen dem Subjekt und dem Publikum“, führt Anastasia Chaguidouline weiter aus.
Das, was Wang Bing als Autorenschaft mache, sei die Auswahl des gefilmten Materials. Und das sei auch das Politische an dem Ganzen. Dabei wähle er seine Subjekte, so die Wang-Bing-Kennerin, aus, weil sie ihn bewegen, und keinesfalls, weil er die Menschen im Westen belehren möchte. So etwa, wenn es, wie in „Youth“, um die ausgebeutete Jugend in der chinesischen Textilindustrie geht. Eine Massenfabrikation, von der auch der Westen, also Europa, profitiert.
Unsichtbares für die Welt sichtbar machen
„Ein Aspekt von ,Youth (Spring)‘, der essenziell ist, ist das Akustische. Diese jungen Näherinnen und Näher arbeiten stundenlang in diesem Lärm der Nähmaschinen. Deutlich wird hierbei, dass sie dieses Geräusch eigentlich nicht mehr wahrnehmen. Und auch auf die Zuschauenden hat dieses Rattern eine hypnotisierende Wirkung“, so Anastasia Chaguidouline.
Szenen, in denen jugendliche Arbeiterinnen und Arbeiter zwischen harter Arbeit einfach mal jung sein können, singen und lachen, seien so berührend, weil sie uns an unsere eigene Jugend erinnern. Gleichzeitig mache Wang Bing in seinen Werken Unsichtbares sichtbar. „Er zeigt uns Chinas Realität – die Realität, die eigentlich vor uns geheim bleiben soll.“
Und das zeichnet nicht nur das Gesamtwerk des 1967 in Xi’an geborenen Filmemachers aus, sondern lässt auch die Tragweite seiner Filme weiter wachsen. Umso herausragender ist es, dass nun auch der letzte Teil seiner „Youth“-Trilogie in Venedig im Wettbewerb läuft.
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Der zweite und der dritte Teil der „Youth“-Trilogie sollen im Laufe des kommenden Jahres in den Luxemburger Kinos zu sehen sein.
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